Strategie

Politikmanagement beim Corona-Schock

Mit epochaler Drastik hat sich ein Virus den Weg in alle Gesellschaften der Welt gebahnt. Wenn Risiko zum Regelfall bei politischen Entscheidungen wird, hat dies Konsequenzen für den Modus des demokratischen Entscheidens.

Wer mit dem Überraschenden rechnet, ist nicht nur vom Zufall abhängig. Wer Komplexitäts-Kompetenz und Verunsicherungsfähigkeit besitzt, erkennt die besonderen Momente der politischen Wendungen, in denen das Sichere kippt. In Zeiten des Gewissheitsschwundes wachsen die Zumutungen für die politischen Akteure, aber auch für die Regierungsformation – im Bund und in den Ländern –insgesamt. Damit zu rechnen, macht die Klugheit von Strategiefähigkeit aus. Die neue formative Phase des politischen Entscheidens steht unter dem permanenten Druck wachsender Komplexität, zunehmender Unsicherheit, steigendem Nichtwissen, dynamischen Zeitbeschleunigungen und exponentiellen Risikoerwartungen. Das deutsche politische System hat mit robuster Funktionsfähigkeit eines besonderen Regierungshandelns darauf professionell reagiert. Als Resilienzstärke erweist sich einmal mehr die Kombination aus Politikmanagement und Verwaltungsaufbau. Träger dieses deutschen Sonderwegs sind vor allem die drei gebietskörperschaftlichen Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden.

Die Politik muss mit dem Virus weiter rechnen. Die politische Corona-Gesellschaft verfügt idealerweise über kollektive Erfahrungen, die Pandemie als externen Schock eingehegt zu haben. Das sind nicht zu unterschätzende Identitäts-Angebote, die Zuversicht enthalten. Auf Selbstwirksamkeit zielte vor allem der TV-Auftritt der Bundeskanzlerin. Jeder kann etwas für die Gesellschaft tun und damit eminent politisch sein. Trotz radikaler Einschränkungen half Solidarität konstruktiv. Soziale Verhaltensformen der Selbstwirksamkeit – nicht technik-, sondern sozial getrieben – zeigten ganz offensichtlich Wirkungen im Kampf gegen die Pandemie. Im „Rausch des Positiven“ (M. Horx) leben die Bundesbürger nunmehr mit dem Gefühl der geglückten Angstüberwindung. Die Bewältigung stärkt nicht nur das Gemeinwohl und das republikanische Wir, sondern die Corona-Erfahrungen machen auch kollektiv stark: Der Staat und seine Bürger sind nicht ihren Ängsten erlegen. Das unterfüttert die politische Mitte. Daraus kann nicht nur eine generationsspezifische Corona-Kohorte werden, sondern auch eine Corona-Solidargemeinschaft. Die Bürger haben erfahren, dass sich unser politisches System handlungsfähig und widerstandsfähig zeigt. Das schließt den Protest an den Maßnahmen – aus rationalen oder irrationalen Gründen – nicht aus. Aber daran lässt sich aus dem Blickwinkel von Politikmanagement perspektivisch anknüpfen. Denn aus wieder neu gewachsener Responsivität und erkennbarem Vertrauen kann auch ein Steuerungsoptimismus für die Politik erwachsen. Politische Führung wird keinesfalls per se einfacher, aber die zu Führenden sind vermutlich weniger skeptisch als in Prä-Corona-Zeiten. Die Corona-Politik hat das Reservoir an Vertrauen als Handlungskredit der politischen Elite wieder aufgefüllt. Vom Personenvertrauen kann auch ein Transfer auf Systemvertrauen erfolgen. Denn Vertrauen führt.

Trotz der Krisen-Stabilisierung des Gemeinwesens erkennen wir gerade jetzt, wie reparaturbedürftig unsere Gesellschaft ist. Das Kaputte, Defekte und Ungleiche der Prä-Corona-Zeit zeigt sich in der Post-Corona-Zeit noch aufdringlicher. Corona-Zeiten sind damit auch aufklärerische Zeiten, die vieles offenlegen, was mit entschleunigten Bewegungsabläufen klarer zu sehen ist. Das Coronavirus ist ein Ungleichheits-Virus, das keineswegs alle gleichermaßen trifft. Die Corona-Gesellschaft ist nicht besser als die Vor-Corona-Gesellschaft. Sie ist anders; keine völlig neue Realität; kein Danach, was sich wie ein Davor anfühlen wird.

Politik muss Vertrauen schaffen

Ob das Primat der Politik und die Renaissance einer Staatsbedürftigkeit anhalten, wird davon abhängen, wie es die Politik schafft, die Schlüsselkategorie Vertrauen zu stabilisieren. Merkel sagte zurecht: „Die ganze Bundesrepublik ist aufgebaut auf Vertrauen.“ Politik, die sichtbar, zurechenbar, zeitlich erkennbar und erklärend Probleme löst, hat sicher Chancen, populär zu bleiben. Nur über begründete Kommunikation kann die notwendige Mitwirkung der Bürger erreicht werden. Das Lockern und Wiederhochfahren ist in der zweiten Phase sicher schwieriger als das Runterfahren in der ersten. Unter den Bedingungen von Unsicherheit, Nicht-Wissen – vielfach auch Un-Wissen – fallen weiterhin Entscheidungen. Die Politiker zeigen sich lernend, unentschlossener. Unsicherheiten artikulieren sie, Kehrtwendungen könnten möglich werden. Traditionell galt dies als Schwäche von Politik. Mit Corona-Kreativität könnte es jetzt als Stärke interpretiert werden. Die Akteure der Un-Wahrheitsmärkte werden sich allerdings auch davon nicht abhalten, das System insgesamt infrage zu stellen.

Ins Zentrum rücken beim Primat der Politik auch Fragen der Verhältnismäßigkeit, vor allem in der Konsequenz des Grundrechtestaats. Wie stärken wir den Geltungscharakter von Grundrechten, über die wir als Bürger alle konstitutiv und immerwährend verfügen? Die Wertschätzung der Freiheit kann sich neu ausbalancieren. Viele spürten erstmals in der Konsequenz des Runterfahrens, wie wertvoll es ist, über das eigene Leben selbst bestimmen zu können. Das sind wichtige Erfahrungen und Diskussionen, die eine Post-Corona-Zeit begleiten, um demokratische Resilienz zu stärken.

Krisen-Vorsorge treibt Wähler um

Für das Superwahljahr 2021 stellen sich naheliegende Mobilisierungsherausforderungen. Rückblickend werden sich Wähler fragen, warum die Politik nicht ausreichend für den Pandemie-Fall vorbereitet war? Können Schuldige ausfindig gemacht werden? Doch das ist eher rückwärtsgerichtet. Zukunftsmobilisierend spielen die Themen eine Rolle, die strategisch Vorsorge ins Zentrum rücken. Vorsorge soll zukünftig Sicherheit schaffen. Was soll über eine agile und kritische Infrastruktur hinaus an Daseinsvorsorge im existenziellen Bereich erhalten bzw. aufgebaut werden? Wer sich dabei besonders um politische Verlassenheit im ländlichen Raum kümmert, wird auf Resonanz stoßen und gleichzeitig Vorsorge gegen politischen Extremismus betreiben.

Die entscheidende Frage wird sein: Welche Partei bietet am meisten sichernde Zukunft an? Krisengewinner können Möglichkeitsmacher sein mit konkreter Zuversicht. Politische Führung mit Zuversicht wird belohnt. Sie erkennt man auch daran, dass sie etwas für möglich hält, was man gerne auch selber mitgestalten möchte. Entschlossene Krisenlotsen sind immer auch Erklärer der Wut, gerade in Zeiten, in denen Wutvorräte auf den Straßen und in den sozialen Medien wachsen. Politiker, die übersetzen, moderieren und Zukunft erzählen, profitieren. Und: Wenn wir retten, welche Richtung geben wir der Rettung?

Porträt Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Direktor der "NRW School of Governance"

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Direktor der „NRW School of Governance“.

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